Gelesene Bücher September 2025

Posted by Björn on 1st November 2025 in Allgemein, Buch

Romy Wolf – Die Partitur der Gewalt
Die Erzählung ist ein wenig Liebeserklärung an New York in den 1930er Jahren: die Welt ist authentisch und kann die Atmosphäre gut zusammenfassen. Mühelos wirkt die Sprache in den Momenten und Augenblicken, und kann nicht nur die Abgründe der Großen Depression einfangen sondern auch Hoffnung geben, dass doch nicht alles verloren ist. Die Charaktere blenden sich hervorragend in die Geschichte und sind überzeugend geschrieben. Grandiose Partitur der Worte.
Lese-Empfehlung!

Daniel F Galouye – Simulacron-3
Matrix finde ich ja durchaus cool, aber er passt ein wenig besser in unsere Zeit als das (nur halbwegs) zugrundeliegende Buch von Galouye, wo Maschinenschränke ganze Gebäude ausfüllen, Relais klicken, Lampen aufleuchten und Schaltkreise ‚angeregt‘ werden – halt ein Werk der 60er Jahre. Auch andere philosophische Aspekte werden in Matrix beleuchtet als im Buch, aber insgesamt sind beide für sich selbst stehende Gesamtwerke.
Nichtsdestotrotz kann die Geschichte im Buch gut altern. Sie ist stringent, und in sich schlüssig. Und obwohl der Ich-Erzähler Sinnkrisen und Paranoia durchläuft, kann alles durch die im Buch dargelegten Philosophien überzeugen. Die Sprache ist in Teilen sehr technikaffin, aber im übrigen verständlich. Ein typisches „Männer“-Buch der 60er Jahre, aber tatsächlich mal in halbwegs gut.

Dr. Rami Kaminski – Wie schön es ist, nicht dazugehören zu müssen
Dieses Sachbuch kam vor kurzem raus, heute abgeholt und auch sofort mit Interesse durchgelesen. Die von Dr. Rami Kaminski vorgetragener Persönlichkeitstyp des Otrovertiertem beschreibt einen Menschen, der kein Zugehörigkeitsgefühl entwickelt – ein ewiger Außenseiter, der nicht um Geselligkeit bemüht ist.
Es ist in vier Kapitel unterteilt: 1) Was es bedeutet, nicht dazuzugehören, 2) Eine Welt für Mitläufer gemacht, 3) Was es für Vorteile bringt, ein otrovertierter Mensch zu sein sowie 4) Wie lebt man als otrovertierter Mensch.
Das Buch beschreibt einige Kapitel der Kindheit, der Pubertät und Teenagerzeit als auch im Erwachsenenleben anhand von Fallbeispielen als auch aus der Sicht Dr. Kaminskis, der sich selbst als otrovertiert beschreibt.
Seine beliebtesten Fallbeispiele sind Frida Kahlo and Franz Kafka, die diesem Persönlichkeitstyp hätten. Hier und da streut er auch Emily Dickinson und sogar einmal Albert Einstein ein. Es gibt sogar einen Persönlichkeitstest über 40 Fragen (zu je 1-7 Punkten) im Anhang; ab 188 Punkten gäbe es die Wahrscheinlichkeit diesen Persönlichkeitstyp zu haben.

William Kotzwinkle – Dr. Ratte
Das Buch hat eine sehr intensive Erzählung, mehr noch: sie ist eine Satire voll mit zynischen Kommentaren. Ähnlich wie Farm der Tiere von Orwell hält es der Menschheit einen Spiegel vor, und spart nicht an Kritik. Gerade der Anfang ist schwer verdaulich (die Tierversuche werden anschaulich und ekelhaft beschrieben) und erinnern an Claude Bernard und Josef Mengele. Die Tiere werden immer in der Ich-Form dargestellt (nur die Menschen werden in der dritten Person erwähnt) und in fast schon philosophischer Art und Weise wechseln sich die guten und bösen Absichten im Buch ab, und kommen mit viel Getöse und einem eindringlichen Ergebnis zum Ende.

Ann Leckie – Der Rabengott
Das ungewöhnliche an dem Buch ist die Erzählperspektive im Du. Hier und da wechselt es in die Ich-Perspektive, um auf die Vergangenheit einzugehen, aber insgesamt betrachtet ist es eine geschickte Möglichkeit den omnipräsenten Erzähler zu etablieren. Das interessante ist, das Du ist nicht an die Leser gerichtet, sondern an Eolo, den Protagonisten. Der Sprachstil mag zwar erst mal gewöhnungsbedürftig sein, fügt sich allerdings nahtlos in den Weltenbau ein, so dass er sich sogar darüber hinaus entwickelt. Sehr faszinierend! Auch die Charakterentwicklung ist sehr gut ausgebaut und inhärent sind die Konflikte und Motivationen mit dem Weltenbau verbunden.
Es mag etwas anspruchsvoll für durchschnittliche Leser sein und diejenigen vergraulen, die einfach nur eine Geschichte lesen wollen, aber wer sich darauf einlässt, erhält ein einzigartiges Leseerlebnis mit einer faszinierenden Geschichte.

C.C. Holister – Die Farbe der Knochen von Alpakas am Strand
Dieser leichte Horror-Fantasy-Mix lebt durch die Konflikte zwischen den Charaktern. Es thematisiert primär Mobbing und Ausgrenzung, aber auch Selbstmord. Die Erzählung ist mit Intrigen geladen und sticht wortwörtlich in jede einzelne Schwachstelle der Charaktere, so dass sich die Geschichte schnell aufschaukelt und sich alarmierend entwickelt. Insgesamt durchaus gut, aber leider zerfasert es ein wenig durch die Fülle von Perspektiven ein wenig – es braucht dadurch etwas mehr Zeit, sich ordentlich zu entfalten.

Lars Czekalla – Die Klima-Elfe
Das Buch bezeichnet sich selbst als Fantasy-Satire – ich behaupte es ist erotischer Klamauk (leicht kinky) mit sachdienlichen Hinweisen über Klimapolitik. Während der Autor also in seinen männlichen Fantasien schwelgt, und seine Klima-Elfe ihn durch Behaviorismus (Belohnung & Strafe) fügig macht, ergeben sich fachliche Argumente für und gegen Klima-Politik. So schreitet eine lose Erzählung kapitelweise vorwärts, während er aus Studien und insbesonders aus dem Buch „Das grüne Paradoxon“ von Hans-Werner Sinn (Professor für Volkwirtschaft) zitiert. Ein mehr oder weniger orgiastisches Werk (sic!), in dem das Blut relativ schnell zwischen Denk- und Pumpwerk wechselt – und ich denke, das ist alles, was man über dieses Buch wissen muss.

Michaela Göhr – Dreamer: Andersträumer
Es ist durchaus ein guter Thriller, der an den Fundamenten der Realität wackelt. Die Erzählung ist spannend, der Weltenbau durchaus interessant, und grundsätzlich ist die Struktur gut zu verstehen. Die Sprache bewegt sich durchaus auf hohem Niveau, es gibt jedoch vereinzelte kleine Anhäufungen von Adjektiven oder seltsame Beschreibungen, die wahrscheinlich aber nur aufmerksamen Lesern auffallen werden. Die Charaktere sind mit ihren Hintergrundgeschichten gut designt und können das Konfliktpotential im Buch ausschöpfen.

Lia Nilges – Der Kampf um Frieden
Ich hab keine Ahnung, warum das Lektorat die Autorin so schlecht beraten hat. Die Erzählung leidet nicht nur unter mangelndem Sprachgefühl, sondern auch von unnötigen Dialogen sowie unlogischen Konstrukten. (Bspw wird früh etabliert, dass eine magische Portalreise einfach und unkompliziert ist, aber dann muss tagelang mit einem Pferd zum Ziel geritten werden – weil, das macht man ja so.) Der Roman selbst ist auch noch im Präsens geschrieben, was insbesonders Szenen sehr gestelzt wirken lässt. Plus, eine 08/15 Wiederholung der Rahmenhandlung lässt die Geschichte sehr verarmen. Die Sprache wechselt sich ab von einfachen Sätzen mit „Altherrendeutsch“ von anno dazumal (Bsp. S. 92: „Sofort lupft Sebras eine seiner silbrigen Brauen.“) oder anstatt ‚Seite‘ oder ‚Hüfte‘ zu schreiben wird konsequent ‚Flanke‘ geschrieben. Die Charaktere sind ja irgendwie süß, aber auch ziemlich naiv und können nicht für sich selbst stehen. Es mangelt ihnen an ehrlicher Tiefe und teilweise passieren plötzliche „Ich erkläre dir mal eben deine Welt“-Infodumps. Nach einem Viertel des Buches habe ich in den Schnell-Lesemodus gewechselt und es flott beendet.

Dai Sijie – Der kleine Trommler: Drei chinesische Geschichten
Drei chinesische Kurzgeschichten sind in diesem kleinen Buch enthalten. Alle drei haben gemeinsam, dass sie sowohl sehr verspielt als auch sehr düster sind. Auf der einen Seite wird die Situation sehr eindringlich beschrieben, fast schon wie ein Maler auf schlechtem Drogentrip, auf der anderen wird die Traurigkeit der Situation fast schon kafkaesk in einem anderen Licht beleuchtet, so dass die Geschichte einen bittersüßen Geschmack hinterlässt. Es sind starke Geschichten mit einzigartigen Charakteren, die fast wie UDSSR Literatur wirkt, wäre es nicht chinesisch.

Mira Lindorm – Coralee und der Kanalligator: F.E.U. 10
Die Serie ist leider etwas zu kurz für Charakterisierung und eine tiefere Erzählung, wodurch sie eher durch Stereotype und Standarderzählung lebt, aber sie macht Spaß in ihrer Ausgestaltung. In dem Band vertieft sich ein wenig das Worldbuilding, der Humor hat so seine Blüten und wird wie so oft in der Serie eher zum Klamauk.

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